In diesem Artikel möchte ich dir berichten, wie mich das berufsbegleitende Ergotherapie-Studium weiter gebracht hat. Dafür werde ich dir zuerst beschreiben, wie mich das Studium persönlich vorangebracht hat, dann wie sich dadurch mein Arbeiten verändert hat und schließlich, wie sich meine Perspektive auf den Beruf verändert hat. Um das alles zu tun, bietet sich es selbstverständlich am Besten an, den Artikel in Mikro-, Meso-, und Makroebene zu gliedern.
Viele Menschen in meinem Umfeld, die mitbekommen haben, wie ich die Ausbildung gemacht habe, konnten anfangs nicht nachvollziehen, weshalb ich das ganze jetzt auch noch unbedingt studieren möchte. Denn die Ausbildung und das Studium befähigen zur Ausübung desselben Berufs, dann sind es bestimmt auch die selben Inhalte (oder wenigstens ganz ähnliche). Aber ich konnte schon nach dem ersten Wochenende alle Skeptiker beruhigen - die meisten Inhalte, die an diesem Wochenende behandelt wurden, hatte ich vorher noch nie gehört. Was ich im Nachhinein echt ein bisschen gruslig finde…
Was hier meiner Meinung nach mit am meisten ins Gewicht fällt, ist, dass ich durch das Studium erst wirklich verstanden habe, was Ergotherapie wirklich ist. Durch die Ausbildung hatte ich davon eine Ahnung bekommen, mir persönlich hat aber ein größeres theoretisches Wissen gefehlt, um Inhalte wie ergotherapeutische Modelle wirklich anwenden zu können. Ich kann es sogar so drastisch ausdrücken, dass ich vor dem Studium gerne mit Modellen gearbeitet hätte, aber nicht wusste, wie. Und durch das Studium war schnell der Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr ohne Modelle oder mein theoretisches Wissen arbeiten konnte.
Aber nicht nur das Themenfeld ergotherapeutische Modelle habe ich im Studium erst so richtig kennengelernt, sondern auch mit Themen wie Professional Reasoning, methodengeleitetes Handeln oder evidence based practice konnte ich erst durch das Studium wirklich was anfangen. Außerdem konnte ich 12 berufsrelevante Kompetenzen aufbauen und beweisen und mich persönlich weiterentwickeln, da ich meine Berufsidentität stark weiterentwickeln konnte.
Meine persönliche Schokoladen-Glasur auf den 2,5 Jahren Studium stellt auf jeden Fall der intensive Austausch, ob mit Kommiliton*innen oder Dozierenden dar. Dieser Austausch war meistens unglaublich wertvoll, wichtig und inspirierend und hat mir das Gefühl gegeben in einer Gruppe von Menschen angekommen zu sein, zu der ich wirklich gehöre. Dieser Austausch war letzend Endes für mich entscheidend mit dafür verantwortlich, die Chance zu ergreifen, zu unterrichten und auch diesen Blog zu gründen.
Wie gerade angesprochen, habe ich auch durch das Studium den Mut gefasst, an einer Ergotherapieschule zu unterrichten - und mich dabei wirklich kompetent zu fühlen. Und das obwohl ich noch keine 40 Jahre Berufserfahrung oder eine eigene Praxis habe. Ich habe durch das Studium verstanden, wie ich mein Handeln und meine Entscheidungen begründen kann, und mir ist das zeitgenössische Paradigma in Fleisch und Blut übergegangen und das alles kann ich auch in den Unterricht mitnehmen.
So nimmt mein Unterricht in motorisch-funktionellen Behandlungsverfahren so oft wie möglich Bezug auf Fallbeispiele und auf ergotherapeutische Inhalts- und Prozessmodelle und ich versuche in meinem Unterricht betätigungsorientiertes Handeln zu promoten - gerade weil ich ein eher funktionell angehauchtes Fach unterrichte. Ich kann die Wichtigkeit von Professional Reasoning in meinem Unterricht verdeutlichen und in meinem Fach jederzeit gut deutlich machen, was der Unterschied zwischen Ergotherapie und Physiotherapie ist.
Mein wichtigstes Ziel für meinen Unterricht ist, eine moderne ergotherapeutische Berufsidentität vorzuleben und meine Schüler*innen zu empowern, im Praktikum und im Berufsleben kritische Fragen zu stellen - weil sie hoffentlich eine starke Berufsidentität als moderne Ergotherapeut*innen haben.
Aber natürlich hat sich auch mein praktisches Arbeiten verändert: durch das Studium konnte ich Klient*innen, Angehörigen und Kolleg*innen gegenüber kompetenter Auftreten als nach meiner Ausbildung, und sicher auch kompetenter als ich das ohne Studium gekonnt hätte. Das hatte zur Folge, dass ich auch in großen Teams die Chance hatte, meine Ideen einzubringen und schließlich die Position als fachliche Leitung zu übernehmen.
Das Studium hat aber auch dazu beigetragen, dass ich mich kritisch damit auseinander gesetzt habe, unter welchen Bedingungen ich arbeiten möchte und was ich mit meiner Arbeit erreichen möchte. Dabei ist mir klar geworden, dass ich persönlich auf lange Sicht mit meiner Arbeit eine größere Auswirkung haben möchte, als immer nur gezielt zu versuchen, das Leben eines einzigen Menschen zu verbessern.
Was ich im Bereich der Makroebene besonders hervorzuheben finde, ist den Antrieb, den Blog zu gründen und meine Eindrücke aus dem Arbeitsleben aus der Brille des Ergotherapie-Studiums zu betrachten, zu reflektieren und zu veröffentlichen. Durch das Studium fühle ich mich kompetent jedem, der es Wissen möchte (und auch immer wieder Leuten, die es vermutlich nicht so genau wissen wollten) zu erzählen, was das besondere an Ergotherapie ist und wo die für Ergotherapeut*innen einzigartigen Kompetenzen liegen. Außerdem habe ich durch das Studium den Anreiz gehabt, Mitglied beim DVE zu werden - und jetzt nach Abschluss des Studiums auf keinen Fall auszutreten, sondern mich eventuell sogar im Verband zu engagieren.
Durch das Studium ist vor allem auch die Idee entstanden, beim WFOT-Kongress in Paris letztes Jahr teilzunehmen. Ich bin mir sicher ohne das Studium hätte nicht einmal davon gewusst, dass dieser stattfindet. Und ich hätte vor allem nicht das nötige Verständnis und nicht die richtige Perspektive für viele der besprochenen Themen gehabt. Die tolle Erfahrung vom WFOT-Kongress hat die Gruppe, mit der ich meine Bachelorarbeit geschrieben habe auch auf die Idee gebracht beim diesjährigen DVE Kongress in Würzburg ein Poster mit den Ergebnissen unserer Bachelorarbeit vorzustellen. Was mich zu einem weiteren Punkt führt zum Thema “Was hat mir das Studium gebracht?”. Ich habe mich für eine lange Zeit mit einem Thema auseinandergesetzt, welches in Deutschland leider noch nicht so viel Gehör findet, wie es sollte: Die Inklusion behinderter Menschen in Deutschland. Das ist ein weites Feld, in unserer Bachelorarbeit haben wir den Fokus darauf gelegt, wie rollstuhlfahrende Menschen in ihrer Freizeit partizipieren können an Orten außerhalb ihres zu Hauses. Wenn du dich jetzt fragen solltest, was das mit Ergotherapie zu tun hat, bist du herzlich eingeladen unsere Bachelorarbeit zu lesen - ich habe sie ebenfalls auf meinem Blog hochgeladen.
Die größte Auswirkung auf mein Leben ist aber vermutlich, dass ich seit Anfang diesen Jahres nicht mehr als Ergotherapeutin in einer Praxis tätig bin. Jetzt stellt sich die berechtigte Frage: “Warum dann das alles? Und warum vor allem dieser Artikel, wenn eh alles für den Müll ist?!” Die Antwort ist: “Von meinem Studium ist GAR NICHTS für den Müll (außer vielleicht, dass ich jetzt im Schlaf durch die Lernplattform navigieren kann, auf der alle Inhalte online waren - zu der ich aber jetzt natürlich keinen Zugriff mehr habe)” Das Studium war ein Türöffner dafür, dass ich mich auf eine Stellenanzeige als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Pflegewissenschaften beworben habe. Die Ausschreibung klang super spannend, aber ich war kurz davor, sie wegzuklicken, weil wie gesagt, es ist PFLEGEWISSENSCHAFT. Und dann habe ich mich hingesetzt und einen Blick auf die niederländischen Berufskompetenzen geworfen, und mir ist klar geworden, dass ich das, zumindest meiner Meinung nach, kann. Und es hat geklappt! Und ich habe das Gefühl, dass ich weiterhin Ergotherapeutin bin - ich bin nur auf die effiziente Seite des Hebels gewechselt und gestalte jetzt aktiv die Weiterentwicklung einer Pflegesprache mit. Bei meiner jetzigen Arbeit kann ich meine Perspektive als Ergotherapeutin immer wieder einbringen und ich kann im Bereich Forschung arbeiten, den ich erst durch das Studium kennengelernt habe.
Hier kann ich keine objektive Einschätzung geben, weil ich keinen Vergleich zu anderen Studiengängen habe. Ich selbst habe in den Niederlanden an der Zuyd Hogeschool mein Studium absolviert und kann nicht anders, als eine große Empfehlung auszusprechen. Der berufsbegleitende Studiengang ist komplett auf deutsch, der Großteil des Dozierenden-Teams kommt aus Deutschland und der Abschluss ist in Deutschland anerkannt. Die Hochschule selber ist super schön und toll ausgestattet und ich bin durchgekommen, ohne niederländisch zu sprechen. Der Aufbau des Studiums in den Niederlanden gibt umfangreiche Einblicke in methodisches Handeln, Forschen, Qualitätsmanagement, Professionalisierung, Interprofessionalisierung und neue Arbeitsfelder. Viel ist am Anfang überfordernd, aber man wird gut begleitet. Was mir von Anfang an sehr sympathisch war, ist, dass in Heerlen (das ist die Stadt, in der sich die Hochschule befindet und das Codewort, mit dem sich gefühlt alle Ehemaligen erkennen) alles immer auf Augenhöhe stattfindet. Alle Dozierenden werden geduzt und alle Kritik, die geäußert wird, wird ernst genommen, es wird sogar explizit danach gefragt. Obwohl ich selbst wegen Corona nicht oft an der Hochschule war, habe ich mich nie alleine gefühlt, weil ich wusste, ich kann mich immer an meine Dozent*innen und an meine Kommiliton*innen wenden.
Wenn ich dich jetzt auch für ein Ergotherapie-Studium begeistern konnte, dann rate ich dir, als nächstes mal verschiedene Studiengänge anzusehen und eine kleine Liste zu machen, was du mit dem Studium erreichen willst, oder was das Studium dir bringen soll. Es macht auch Sinn, die Höhe der Studiengebühren im Blick zu behalten, ein Ergotherapie-Studium ist nämlich häufig nur an privaten Hochschulen möglich. Es gibt aber die Möglichkeit, sich für Stipendien zu bewerben, oder du sprichst mit deinem Arbeitgeber, ob dir vielleicht ein Teil der Gebühren oder alles gezahlt werden kann.